Jürgen Klodt von der Handwerkskammer Münster öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für das Tischlerhandwerk

Giesharzwurm bei Schallschutzscheiben

Vorgeschichte:

Aufgrund einer Renovierungsmaßnahme wurden Fenster eines Bürogebäudes durch Schallschutzfenster ersetzt. Zirka zwei Jahre später zeigten sich an den Glasscheiben wurmartige Fräsgänge in unterschiedlicher Konzentration. An den Scheiben wurden so genannte Giesharzwurm Erscheinungsbilder festgestellt.

Was und wer ist für die negativen Erscheinungsbilder verantwortlich?

Bis ca. 1999 hatten viele Schallschutzverglasungen folgenden Aufbau:

Auf der Außenseite wurden zum Beispiel zwei Float-Glasscheiben mit je 4 mm Stärke durch eine ca. 1 mm starke Giesharz-Klebeschicht zusammen geklebt. Diese beiden Scheiben wurden wiederum mit dem Glassteg verbunden. Raumseitig wurde eine (z.B.) 6 mm starke Float-Glasscheibe mit dem Glassteg verklebt. Je nach schalltechnischen Anforderungen wurde der Luftzwischenraum mit unterschiedlichen Gasen gefüllt, die der Scheibenkonstruktion einen noch besseren Schalldämmwert gewährleisten. Das unterschiedliche Schwingungsverhalten der unterschiedlich dicken Glasscheiben, sowie die Giesharz-Kleberschicht selbst haben einen maßgeblichen Anteil am Schalldämmwert der Scheibe.

Untersuchung der Glasscheiben:

Zur Überprüfung wurden die Fensterscheiben exemplarisch ausgebaut. Beim Entfernen der Glasleisten wurde beobachtet, dass im Falzbereich ein Glasklotz an die Außenkante der Isolierglasscheibe mit weißem Silikon geklebt wurde. Das Silikon ist mit der Giesharzschicht in Berührung gekommen und erzeugte in diesem Bereich das nachfolgend negative Erscheinungsbild

negatives Erscheinungsbild auf einer Fläche von ca. 3 x 4 cm in der Giesharzschicht

der Kantenbereich ist mit Silikon verunreinigt

der rote Pfeil dokumentiert auf dem nachfolgenden Foto die Giesharz-Klebeschicht

 

Die weiße Fläche stellt das Silikon dar, welches als Klebstoff für den Glasklotz diente. (grüner Pfeil). Oftmals wird dieser Fehler bei Schallschutzscheiben gemacht, da der Fenstermonteur sich den Einbau der Scheibe erleichtern- und ein verrutschen der Glasklötze vermeiden möchte.

Die negativen Erscheinungsbilder ( die aussehen wie Fräsgänge eines Wurmes ) führten häufig aufgrund von

  • Unverträglichkeiten mit angrenzenden Verarbeitungsmaterialien,
  • geringfügige Dicken-Veränderungen in der Giesharzschicht,
  • Spannungen in den Isolierglasschreiben aufgrund von Luftdruckänderungen
  • interne Spannungsverteilung innerhalb der einzelnen Floatglasscheibe
  • und fehlerhafte Verarbeitung der Scheibenkanten, durch Migration

immer wieder zu optischen Beeinträchtigungen der Glasscheiben.

Unter Migration versteht man in diesem Fall eine Abwanderung des Weichmachers aus angrenzenden Klebstoffen wie Silikon und Scheibenkleber.

Es wurde ein Einkomponenten-Silikon verarbeitet, welches zum Aushärten Feuchtigkeit aus der Luft benötigt. Bei dem verwendeten Giesharz handelte es sich um ein 2-Komonenten Giesharz, welches weich eingestellt ist, um die Schallwellen besser absorbieren zu können. Auch in dem Giesharz sind Weichmacher vorhanden, die jedoch eine andere Konzentration besitzen wie die Weichmacheranteile des Silikons oder des Scheibenklebers. Diese Weichmacher sind bestrebt sich auszugleichen. Die Konzentration in den unterschiedlichen Materialien ist abhängig von der Auftragsmenge. So reichen geringfügige Auftragsmengen nicht aus, die negativen Erscheinungsbilder zu verursachen. Ist jedoch ein entsprechender Mengenauftrag vorhanden, wandern die Weichmacher des Materials mit höherer Konzentration in das Material mit der geringeren Weichmacherkonzentration.

Im vorliegendem Fall sind die Weichmacher aus dem Silikon ( verursacht durch den Verarbeiter ) oder aus dem übermäßig aufgetragenen Scheibenkleber ( Verursacher der Glasscheibenhersteller ) in die Giesharz-Klebeschicht gewandert und quillt diese auf. Durch das Aufquellen entstehen Spannungen zwischen Floatglasscheibe und dem Giesharz. An den Stellen wo die negativen Erscheinungsbilder auftreten, reichte die Klebekraft des Giesharzes nicht mehr aus um eine vollflächige Verklebung zu gewährleisten. ( Enthaftung )

Die negativen Erscheinungsbilder treten ca. 1 cm vom Scheibenrand auf. Dies ist darauf zurück zu führen, dass auf Höhe des Glassteges vor der Beschichtung mit Giesharz ein umlaufendes transparentes Acryl-Klebeband aufgeklebt wird. Nachdem die beiden 4 mm starken Floatglasscheiben miteinander verklebt wurden, wird durch eine Öffnung das Giesharz in den ca. 1 mm breiten Scheibenzwischenraum gebracht.

optische Beeinträchtigungen an der oberen Scheibenecke

Kantenansicht der Schallschutz-Glasscheibe

 

6 mm Floatglas             LZR                2 x 4 mm Floatglas mit Giesharzschicht

Die zweite optische Beeinträchtigung der oberen Ecke der Glasscheibe resultiert aus einer unsauberen Verarbeitung des Scheibenklebers im Eckbereich. Hier kommt der dunkle Scheibenkleber mit dem Giesharz in Berührung.

Es ist deutlich zu erkennen (rote Pfeile) dass die Giesharz-Klebeschicht ( Wulst ) Kontakt mit dem Scheibenkleber hat. (graue Klebemasse)

Anmerkung: Auf dem vorherigen Foto ist der schwarze Scheibenkleber aufgrund des Blitzlichtes bei Makroaufnahmen, fälschlicher Weise grau dargestellt.

Eine Fensterscheibe ohne Beanstandung wurde exemplarisch ausgebaut um festzustellen, ob der Scheibenkleber an einer Fensterscheibe ohne Beanstandungen mit der Giesharzschicht in Kontakt kommt.

Diese Fensterscheibe wies nur geringfügige Kontakte zwischen Scheibenkleber und Giesharzschicht auf. Der Scheibenkleber an den Kontaktstellen wurde nur sehr dünn aufgetragen, sodass keine ausreichende Weichmacher-Abwanderung erfolgen konnte.

die Verglasungsklötze waren an der Glasscheibenkante mit Silikon befestigt.

Hier waren die Glasklötze im Falzbereich des Flügelrahmens mit Silikon fixiert. Es bestand hier keine Verbindung zwischen dem verwendetem Silikon und der Scheibenkante.

Im Eckbereich der ausgebauten Glasscheibe hat der dick aufgetragene Scheibenkleber Kontakt zur Giesharz-Klebefläche

Hier konnten aufgrund der geringen Vernetzung des Scheibenklebers und der Giesharzschicht nicht genügend Weichmacher aus dem schwarzen Scheibenkleber in die Giesharzschicht abwandern.

Das nächste Foto zeigt an einer anderen Scheibe Silikonrückstände an der Scheibenkante, die den Glasklotz positionierten. Kontakt zur Giesharz-Klebefläche ( roter Pfeil )

Dicker Scheibenkleberauftrag aus dem zusätzliche Weichmacher abwandern.

Da die unterschiedlichen Weichmacherkonzentrationen der in Kontakt gekommenen Stoffe bestrebt sind sich auszugleichen, ist vor der Verarbeitung die Verträglichkeit durch den Verarbeiter zu prüfen. Ist die Verträglichkeit nicht gegeben, müssen Maßnahmen getroffen werden, dass diese Materialien nicht miteinander in Kontakt geraten können.

Ergebnis der Untersuchungen:

Die beanstandeten Schallschutz-Isolierglasscheiben des Typs XY weisen in der Giesharzschicht den so genannten Giesharzwurm auf. Das negative Erscheinungsbild ist hervorgerufen worden durch eine Weichmacher-Abwanderung benachbarter Stoffe wie den Scheibenkleber und das eingesetzte Silikon. Da unterschiedliche Weichmacherkonzentrationen die in Kontakt mit der Giesharzschicht stehen, bestrebt sind sich auszugleichen, quollen Bereiche der Giesharzschicht auf und es kam zu Spannungen innerhalb der Scheibenkonstruktion, die wurmähnliche Ablösungen erzeugten. Die Erscheinungsbilder stellen im Bereich der wärmetechnischen Eigenschaften und der Kondensatfreiheit keinen Mangel dar. Die minimalen Einschränkungen der Schalleigenschaften sind technisch kaum messbar und vernachlässigbar.

Da das Abwandern der Weichmacher von dem Mengenauftrag und von der in Kontakt stehenden Fläche abhängig ist, muss so lange mit zusätzlichen negativen Erscheinungsbildern gerechnet werden, bis die Konzentration der Weichmacher beider angrenzenden Stoffe ausgeglichen ist.

Verantwortlich ist der Glashersteller für die Weichmacherabwanderungen aus dem Scheibenkleber. Der Auftragnehmer ist verantwortlich für die Giesharzwürmer, die durch Weichmacherabwanderungen aus dem verarbeiteten Silikon hervorgerufen wurden.

An verschiedenen Scheiben sind z.T. gemeinsam der Auftragnehmer und der Glashersteller für die Giesharzwürmer verantwortlich, da eine Überlagerung beider Materialien die Einläufe verursacht haben.

Die beschädigten Glasscheiben können nicht nachgebessert werden und müssen durch neue Schallschutzgläser ersetzt werden. Heutzutage ist es in diesem Bereich Stand der Technik, die Verklebung durch eine Verbundfolie auszuführen.